Mein Leben mit Jiří Altmann oder „Kein Zuckerschlecken“

Kennengelernt haben wir uns 1967. Ein Warnsignal in meinem Kopf gab mir zu verstehen: entweder wird dich dieser Kerl mit seiner ungebändigten Energie zugrunderichten, oder aber du wirst mit ihm in den Wolken schweben. Die Zeichnungen und Malereien, die unter seinen Händen erstaunlich leicht entstehen, habe ich stets bewundert und noch heute bezaubern sie mich. Seine figürlichen Grafiken und Illustrationen haben nichts von einer sklavischen Beschreibung an sich. Seine Porträts fangen nicht nur das Antlitz ein, sondern auch die Vorgänge in der Seele des Porträtierten. 1980 schrieb PhDr. Sylva Petrová über ihn für Odeon: „Altmanns figurale Kompositionen sind lapidar, derb, und ihre Exaltation im Ausdruck verführt stellenweise zu formalen Kürzungen. Sie verraten die romantische Beziehung ihres Autors zum Handwerklichen, gleichzeitig aber auch seine Neigung zur kalligraphischen Arabeske der Linien und Striche.“
Als er mich zum Tanz aufforderte und ich ihm nicht aus den Armen fiel, verfiel ich seinem Zauber. Wir schwebten in den Wolken…, aber da war noch immer dieses Signal.
Als ich im Früjahr 1968 unter Vermittlung von Pragokonzert mein Engagement am Hohnsteiner Puppentheater in Essen einging, folgte mir Jiří in die Bundesrepublik Deutschland. Er schloss mit dem Odeon-Verlag einen Vertrag über Holzschnitte für ein Buch mit Gedichten von François Villon.
Als Absolvent der Akademie der bildenden Künste konnte ihm Pragokoncert eine langfristige Ausreisegenehmigung vermitteln, denn er hatte einen Anstellungsbescheid für das Grafik-Atelier des Girardet-Verlags in der Tasche. Hier erweiterte er seine Techniken vor allem auf dem Gebiet der Schriftgestaltung.
In diesem Zusammenhang schrieb PhDr. Jana Wittlichová über ihn:
„Dort… verschaffte er sich über die beiden Pole seiner Grafik Klarheit: das freie Schaffen und die Illustration sowie ihr gegenseitiges Durchdringen. Die tragende Konstruktion des Altmannschen Holzschnitts, seiner beweglichen plastischen Form und seines gespannten Dramas, der schwarzweißen Kontraste, ist der literarische Text, der freilich mit rein künstlerischen Mitteln in symbolischer Kürze und der bildhaften Metaphorik von Zyklen mitgeteilt wird. Die historische Wirklichkeit der Holzschnitte gründet auf zyklischen Ausdrücken, die Altmann respektiert, weil sie es ihm erlauben, die Geschichte in mehreren Handlungsebenen und unter mehreren Blickwinkeln zu entfalten. Genau so ist der Zyklus zu den Gedichten von Villon, zu den Versen von Alexander Blok, zu Boccaccios Decamerone und auch eine wie Balladen komponierte Reihe von Blättern zum Thema Die Tragödie von Lidice.“
Nach dem Einmarsch der „befreundeten Armeen“, die den Prager Frühling niederwalzten, musste der Odeon-Verlag seine Editionspläne ändern und „Villon“, obgleich das Honorar dafür bereits ausgezahlt war, erschien nicht.
In Deutschland arbeitete Jiří außer am Verlagsauftrag auch an Zyklen freier grafischer Blätter und bereitete für den Verlag Československý Spisovatel Holzstiche für die Titelseiten der „Kleinen Edition Poesie“ vor. Seine Eltern, die in Prag wohnten, gaben sie dann jeweils in der Redaktion ab.
Kurt Viesel, ein Verleger aus dem deutschen Memmingen, bat Jiří damals um Illustrationen für Boccaccios Decamerone, die Jiří mit der ihm eigenen Kraft anfertigte.
Nach einem Jahr verließ ich das Puppentheater. Jiří fuhr damals sehr „gekonnt“ mehrere Autos zu Schrott. Einer der geschädigten Besitzer vermittelte mir unverhofft Kontakt zur Höheren Fachschule für Sozialpädagogik, an der ich dann zu sehr guten Bedingungen drei Jahre lang Theaterpädagogik und „Darstellendes Spiel“ unterrichtete. Dank Jiří’s „Fahrkünsten“ bekam ich somit zufällig eine tolle Beschäftigung, eine fabelhafte, in Philologie promovierte Chefin, die meine Deutschkenntnisse vervollkommnete.
Im August 1969 fuhren wir nach Prag, um dort zu heiraten. Im Februar 1970 wurde in Essen unser Sohn Jiří geboren.
Als die Agentur Pragokoncert 1972 all ihre Schäfchen aus dem westlichen Ausland zurückbeordern musste, standen wir vor der Wahl, entweder zu emigrieren oder nach Hause zurückzukehren. Unsere Eltern lebten in Prag und wir waren doch zu sehr mit Prag verwurzelt, dem kulturellen Prag mit seinen zahlreichen Ausstellungssälen und Theatern. Schweren Herzens kehrten wir in unsere Heimat zurück.
Hier wieder angekommen, mussten wir abermals von Null an beginnen. Ich bekam im Puppentheater „Spejbl und Hurvínek“ ein Engagement, aber entschied mich zwei Jahre später schließlich für das Zentrale Puppentheater (Ústřední loutkové divadlo) in Prag. Jiří arbeitete an Illustrationen, widmete sich aber in der Hauptsache seiner freien Schwarzweißgrafik. Staatliche Aufträge erzielte er so gut wie keine. Und von dem einzigen Einkommen am Theater hing der Brotkorb für uns ziemlich hoch. Wir hofften auf bessere Zeiten, doch einen Lichtblick gab es nur einmal 1973, als der Verlag „Československý spisovatel“ Illustrationen für das Büchlein Poezie (Poesie) von Jean Rictus in Auftrag gab, die meines Erachtens „sehr hübsch“, also gelungen ausfielen. Dann bekam Jiří vom Albatros-Verlag den Auftrag, das wunderschöne Büchlein von Parolek Souboj nad propastí (Zweikampf über dem Abgrund) zu illustrieren, und vom Verlag Práce, Illustrationen für das Buch Tam nahoře u těch lidí (Dort oben bei den Leuten) anzufertigen.
Ein Kaufmann war Jiří leider nie. Aber die Idee ein Haus zu bauen, beflügelte ihn und aktivierte in ihm die vielfältigsten handwerklichen Fähigkeiten. Er versteht sich nahezu auf jedes Material. (Einmal hat er mir sogar ein Kleid genäht und dazu einen Ledergürtel mit Messingschnalle angefertigt, die er aus Plättchen zu einem Schmuckstück zurechtfeilte und mit der Aufschrift versah: „Für den Schmerbauch meines Weibes“)
Den Rat unseres Baumeisters befolgend, der da lautete: „Beginnt mit der Sickergrube, die stürzt nicht ein“, begannen wir, von verschiedenen Schutthalden und abgerissenen Häusern Bruchsteine und Schotter zusammenzutragen und aus ihnen die Sickergrube und dann das Haus zu bauen.
Der Herr Baumeister beaufsichtigte den Bau und meinte: „Meister, hierher sollten die Schüler der Baugewerbeschulen zur Exkursion kommen!“ Über jeder Fensteröffnung prangten nämlich Wölbungen aus Ziegeln, und einige Mauern waren ganz aus sorgfältig von Jiří behauenen Bruchsteinen gebaut. Die Decken entstanden aus Eichenbalken, die wir als Brennholz von der provisorischen Troja-Brücke gekauft hatten. Es stimmt zwar, dass dies alles sehr viel Zeit kostete, doch die hatten wir ja damals angesichts fehlender Aufträge.
Im Jahre 1980 kaufte im Goldenen Gässchen auf dem Hradschin, wo man damals in dem Laden „Dílo“ Arbeiten tschechischer Künstler anbot, ein gewisser Herr Münz, Sammler von Grafiken und Besitzer einer Reklameagentur in Köln am Rhein, eine Grafik von Jiří. Über den Verband der bildenden Künstler machte er unsere Adresse ausfindig und schrieb an Jiří, dass er ihm gerne ein paar Ausstellungen ausrichten würde – vorausgesetzt natürlich, er habe Interesse daran. Und Jiří hatte großes Interesse. Dann gab es viele Ausstellungen in ganz Deutschland. Von Zeit zu Zeit verkaufte man auch einzelne kleine Blätter. Darüber wachte natürlich das Artcentrum sorgsam und berechnete entsprechende Vermittlungsgebühren.
Ich selbst arbeite seit 1982 als Pädagogin für Bühnensprache und Sprecherziehung an der Theaterfakultät der Akademie der Musischen Künste in Prag (DAMU), mache Synchronisationen und habe von Zeit zu Zeit kleinere Rollen in Film und Fernsehen – ich bin froh, dass ich mit den Honoraren für diese Tätigkeiten meinen Mann unterstützen kann.
1988 beauftragte der Albatros-Verlag Jiří, ein großes Buch mit dem Titel Severské báje (Sagen aus dem Norden) zu illustrieren, das irgendwann zur Jahreswende 1989-1990 erscheinen sollte. Jiří fertigte dazu zahlreiche wunderschöne Farbholzschnitte an, doch änderte der Albatros-Verlag nach der Wende 1989 seine Editionspläne und das Buch erschien nicht. Eine große Auszeichnung bedeutete für Jiří 2008 seine Aufnahme in die „Galerie Hollar“.
Heute wohnen wir in unserem schönen, großen Haus am Rande Prags, das wir nach 29 Jahren endlich baurechtlich abnehmen lassen konnten. Gebaut wurde es als Zweifamilienhaus, doch kam unser Sohn mit 21 Jahren bei einem Autounfall tragisch ums Leben. Sein Tod war auch der Grund für die lange Schaffenspause meines Mannes.
Erst in letzter Zeit haben ihn mehrere erfolgreiche Ausstellungen zu neuen Plänen bewogen. Er schuf unterdessen eine sehr dekorative, überlebensgroße „Wenzelsstatue“ (Linde) für die Kapelle in Černošice und zahlreiche große Farb-Holzschnitte.
So könnte es weitergehen… über den Wolken…!


Jana Altmannová, Januar 2012